CULTURA SUISSE 2024: Von Handwerk im Denkmal bis Museum des 21. Jahrhunderts
21.05.2024 von Evelyn Hartmann Reportage
Lebendige Einblicke in alte Handwerkstechniken
Beim Betreten der Messehalle der CULTURA SUISSE in der BERNEXPO treffe ich auf einen äusserst lebendigen Ort, der keineswegs angestaubt wirkt, wie manche beim Stichwort «Kulturerbe» vielleicht vermuten. Vor den Augen des Publikums bearbeiten Langsäger und Langsägerinnen von Fachwerkerleben (http://www.fachwerkerleben.ch/fuehrungen.html) beeindruckend grosse Holzstämme. Dazu gewähren viele weitere spezialisierte Handwerkerinnen und Handwerker interessante Einblicke in ihre traditionelle Arbeit – während es vor allem im Bereich der Museumsausstattung auch viele digitale Lösungen zu entdecken gibt. Zwischen Dokumentationssystemen, diversen Farbkulturen, mineralischen Baustoffen und allem, was es rund um das Kulturerbe sonst noch braucht, kann man Studierenden der HKB, Hochschule der Künste Bern, beim Restaurieren und Konservieren über die Schultern schauen, mit Fachverbänden in Kontakt treten und im Forum den Podiumsdiskussionen folgen. Die Themen spiegeln die aktuellen Herausforderungen wider, mit denen hier viele konfrontiert sind: Wohin geht die Entwicklung des Museums und was lässt sich gegen Zerfall, Raub und Plünderung von Kulturgütern unternehmen? Wie können besondere Handwerksberufe erhalten werden in einer Zeit, in welcher in erster Linie die wirtschaftliche Effizienz zählt? Oder «Denk mal ans Klima!»: Wie soll die energetische Sanierung eines denkmalgeschützten Objekts unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes aussehen?
Kulturelle Vergangenheit als gesellschaftliches Rückgrat
Am Stand von NIKE, der Nationalen Informationsstelle zum Kulturerbe und diesjährigen Messepartnerin, treffe ich Andrea Schaer. «Die Denkmalpflege wird sich anpassen müssen», meint die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Archäologin, «und angesichts immer komplexerer Situationen, wie beispielsweise dem Klimawandel oder verdichtetem Bauen, interdisziplinärer werden. Im Amt sind erst einmal Generalistinnen und Generalisten mit umfassendem Kontextwissen gefragt. Letztendlich bewegen wir uns in einem Spannungsfeld – bei der Suche nach Lösungen für unsere Zukunft gehen der Wert und das Potenzial historischer Bauten oder Landschaften oft vergessen oder werden gegeneinander ausgespielt. Da besteht unsere Verantwortung als Fachpersonen darin, zu vermitteln, weshalb manche Objekte überhaupt schützenswert sind. Wenn es im Idealfall gelingt, so einen neuen Umgang mit dem Kulturerbe zu bewirken, ist die Freude natürlich gross!» Das Thema der Verantwortung greift auch David Vuillaume, Vizepräsident der NIKE und Vorsitzender des NEMO (Netzwerk Europäischer Museumsorganisation), in seiner Eröffnungsrede auf. Er ist überzeugt, dass ein Bewusstsein für die gemeinsame kulturelle Vergangenheit und der verantwortungsvolle Umgang mit diesem Erbe eine Gesellschaft in positivem Sinne stärken können und sogar wesentlich dazu beitragen, besser durch Krisenzeiten zu kommen.
Weiterbildung in der Denkmalpflege
Damit denkmalgeschützte Objekte überhaupt für zukünftige Generationen bewahrt werden können, braucht es jedoch die entsprechenden Fachleute. Niklaus Maurer, Schmied und Vertreter der Interessengemeinschaft IG Schmiede, erzählt: «Das Handwerk des Schmieds ist eines der ältesten, die es überhaupt gibt. Heute ist die Bezeichnung dafür Metallbauer/in EFZ. Das Schmieden kann zwar als Schwerpunkt gelernt werden, taucht aber im Fähigkeitszeugnis überhaupt nicht mehr auf. Damit geht für uns ein Stück Identität und auch einiges an Wissen verloren. Mit der Interessengemeinschaft und verschiedenen Projekten versuchen wir, dem entgegenzuwirken.» In eine ähnliche Richtung zielt die Weiterbildung Handwerker/in in der Denkmalpflege BP. «Die Faszination, im Denkmal zu arbeiten», verrät Armin Schmid, der für Handwerk in der Denkmalpflege vor Ort ist, «liegt für mich nicht zuletzt in der Entschleunigung. Man muss sich Zeit nehmen und gut überlegen, wie man an eine konkrete Aufgabe herangeht. Meist haben wir es ja mit einzigartigen Objekten zu tun, die man nicht einfach so nachbestellen und ersetzen kann. Und natürlich ist es elementar, dass wir korrekt und umfassend dokumentieren, angefangen bei der Bestandesaufnahme bis zur eigenen Arbeit – sonst beginnt man mit der Erforschung später wieder bei null.» Eine, die nach Abschluss der Fachprüfung gleich selber Dozentin wurde, ist Johanna Vogelsang. Die gelernte Maler/in EFZ hatte schon immer eine Vorliebe für historische Materialien. Sie schmunzelt: «Es macht Spass, die Farben, die wir im Denkmal benötigen, gleich selber herstellen zu können – aus Eiern, Erde, Kalk und weiteren Substanzen, die früher verwendet wurden. Zudem bleiben wir so unabhängig von Zulieferern.»
Erste Hilfe für Kulturgüter
Als ich schon fast auf dem Heimweg bin, bleibe ich noch kurz am Stand von docusave AG hängen. Ja, was geschieht eigentlich, wenn ein Archiv mit alten Büchern, Dokumenten, Bildern, Fotos und Plänen von Schimmel befallen wird, Wasser- oder Feuerschäden erleidet? Hier kommt das Familienunternehmen sozusagen als «Rega» und «Notfall-Truppe» zum Einsatz, um das wertvolle Kulturgut zu bergen, durch Vakuumtrocknung zu sichern und schliesslich fachgerecht zu restaurieren. «Manchmal erhalten wir zudem Sonderaufträge der etwas anderen Art,» weiss Giuliano Mordasini, Einsatzleiter, zu berichten, «wie zum Beispiel da, als wir eine Sammlung von 5000 Büchern über Orchideen aus einem privaten Nachlass hier in der Schweiz in eine Institution nach Costa Rica transportiert haben.» Dass man so besondere Fracht nicht einfach in beliebigen Kisten durch die verschiedenen Klimazonen verschiffen kann, liegt auf der Hand. Und dass sich ein Besuch der Cultura Suisse auch für Interessierte ohne direkten Fachbezug lohnt, ebenfalls. In zwei Jahren ist es wohl wieder soweit.