Generation Smartphone

01.10.2019 von Ravena Frommelt Reportage

Kind am Smartphone

Die Jugendlichen von heute sind doch ständig nur am Handy – so ein weitverbreiteter Glaube. Um zu erfahren, was es mit diesem Klischee auf sich hat, ist mit 15 Jugendlichen das Gespräch gesucht worden. Was bei diesen Unterhaltungen herausgekommen ist, überrascht und erfreut zugleich.

Generation Smartphone

Wer noch zu den letzten Generationen zählt, die im analogen Zeitalter aufwachsen durften, musste sich eigenständig auf Erkundungsreise machen, wenn er etwas wissen wollte. Er musste in echte Bibliotheken hinein gehen, die richtige Abteilung suchen und das entsprechende Buch ausfindig machen. Stand dort nicht drin, was er wissen wollte, kam das nächste Buch an die Reihe, bis er schliesslich seine Antwort hatte; oder er fragte Eltern, Lehrer – redete mit Menschen, um sich Wissen anzueignen.

Antwort per Mausklick

Heute ist das anders. Wir suchen nach «Lebenserwartung Schildkröte» und Google spuckt in 0,57 Sekunden 10‘800 Ergebnisse aus, die uns detaillierte Antworten geben. Die Generation, die heute aufwächst, hat es deshalb viel einfacher, könnte man meinen. Sie findet Antworten schneller und leichter. Sie kann sich zum Spielen mit unterschiedlichsten Leuten im Virtual Space verabreden und aus einer schier endlosen Auswahl an Online Games auswählen… Führt dies dazu, dass die Jugend von heute nicht mehr weiss, was es heisst, sich für etwas anzustrengen, oder auf etwas zu warten? Sind die Erwachsenen der Zukunft also hoffnungslos verloren? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist für einmal nicht auf Google zurückgegriffen worden… Fünfzehn Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren sind zu ihrem Konsumverhalten in Bezug auf digitale Geräte und ihrer Sicht auf die Welt befragt worden. Von den sieben männlichen und acht weiblichen Teilnehmern haben 14 ein Smartphone. Gut die Hälfte hat ausserdem schon einen eigenen Laptop oder PC und im Schnitt hat jeder zwei verschiedene Spielkonsolen. Im Durchschnitt verbringt jeder täglich zwischen zwei und vier Stunden am Handy. Die meisten der befragten Jugendlichen sind nicht jeden Tag am Computer oder an Game-Geräten – doch wenn sie es sind, verbringen sie durchschnittlich zwischen 0,5 und 3 Stunden damit. Zu den Top 3 der Lieblingsaktivitäten aller Befragten an technischen Geräten gehören Chatten, Gamen und Youtube-Videos anschauen. Die Lieblingsapps der Zwölf- bis Fünfzehnjährigen sind Whatsapp, Snapchat und TikTok.

Für die Generation der Eltern und Grosseltern ist es sowohl erschreckend als auch faszinierend, dass die heutigen Jugendlichen über Game-Konsolen verfügen und Apps kennen, von denen ihre Vorfahren noch nie gehört haben. Einer der Jungs nannte als seine Lieblingsbeschäftigung an technischen Geräten sogar Programmieren. Kann es sein, dass die Jugend von heute sich ohne diese ganzen Gadgets wohl gar nicht mehr beschäftigen kann? Weit gefehlt! Zu ihren nicht-digitalen Lieblingstätigkeiten zählen die Befragten unter anderem Tanzen, Lernen, Kickboxen, Brettspiele, Volleyball spielen und Schwingen.

Wie es Jugendliche sehen

Bei der Frage, ob eine Kindheit mit oder ohne digitalen Geräten besser sei, scheiden sich die Geister: Sechs Befragte finden, ihre Kindheit sei schlechter, denn alle seien nur am Handy. Man sei zu wenig draussen und allgemein zu faul und zu wenig in Bewegung. Ebenfalls sechs Befragte finden jedoch ihre digitale Kindheit besser, da man jederzeit miteinander kommunizieren könne, immer Ablenkung habe und es sonst langweilig wäre. Die Zeit vergehe schnell und man habe Spass dabei. Nur zwei Jugendliche waren der Meinung, es sei keine Kindheit besser oder schlechter als die andere, denn beide hätten ihre Vor- und Nachteile – jemand wollte sich ganz enthalten.
Zu den Vorteilen ihrer Kindheit zählen die Befragten allgemein: «Man kann chatten», «Man hat Spass», «Wir kommen besser draus und müssen weniger fragen» sowie «schneller Fremdwörter lernen». Eine Person sah in der heutigen digitalen Kindheit und Jugend keinen Vorteil. Zu den Nachteilen einer digitalisierten Kindheit und Jugend zählen sie: «schlechte Augen», «zu wenig Bewegung», «zu wenig draussen», «Suchtgefahr», «aggressives Verhalten» und «schlechte Noten». Wie eine Kindheit vor ihrer Zeit ausgesehen haben könnte, scheinen sich nur wenige vorstellen zu können, nennen sie doch lediglich «keine Verstrahlung», «Man war frei» und «mehr Zeit draussen» als Vorteile einer analogen Kindheit. Ein Nachteil letzterer sticht dagegen klar heraus: «Man musste viel lesen».

Das Beste aus zwei Welten

Am Ende der Befragungen schien ein pessimistischer Ausblick auf die Zukunft relativierenswert. Klar, gerade die Suchtgefahr von digitalen Geräten ist gross und darüber wurde auch schon viel geschrieben. Doch die Gespräche, welche sie mit den Jugendlichen geführt hat, haben ihr auch deutlich aufgezeigt, dass die «Digital Natives» es grösstenteils ausgezeichnet verstehen, die Vorzüge der digitalen Welt mit denjenigen der analogen zu verknüpfen. Zwar verbringen sie viel Zeit am Smartphone und müssen nicht mehr den gleichen Aufwand wie frühere Generationen betreiben, um an Informationen zu kommen – doch sie wissen auch klar zwischen virtueller und «echter» Realität zu unterscheiden.

Die Gespräche, welche mit den Jugendlichen geführt worden sind, haben aufgezeigt, dass es die «Digital Natives» grösstenteils ausgezeichnet verstehen, die Vorzüge der digitalen Welt mit denjenigen der analogen zu verknüpfen. Zum Beispiel ziehen sie einen Fussballmatch mit Schulkollegen einem virtuellen Battle mit Unbekannten vor. Dies legt nahe, dass gewisse Erlebnisse, welche die physische Welt bereithält, nicht durch virtuelle zu ersetzen sind und dies auch nie sein werden. Auch die Erwachsenen der Zukunft werden deshalb wohl ebenfalls immer noch eine echte Begegnung, einen echten Dialog oder eine echte Berührung einem virtuellen Austausch vorziehen. Die Jugend von heute ist Meisterin darin, immer wieder einen gesunden Mittelweg zwischen digital und analog zu finden. Und wenn ihre Eltern es wollen, können sie diese Kunst von ihren Kindern lernen und nutzen.

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf brainstorm.vszhaw.ch und später auf eduwo.ch erschienen.

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