Schnuppern – die bewährte Form, Berufe kennenzulernen

03.01.2024 von Rebecca Pozzoli Reportage

Junge Frau baut mit Hammer und Steinen

Am 4. November 2023 fand die 5. Fachtagung «Von der Schule zum Beruf» zum Thema «Schnuppertage, Praktika & Co. – Zur Bedeutung von Erfahrungen für die Berufsfindung» in Olten statt. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten eines gemeinsam: das Bewusstsein, wie bedeutsam das Schnuppern für die berufliche Orientierung ist. Denn erst durch die Praxiserfahrung können Schüler und Schülerinnen ihre persönlichen Berufswünsche und Vorstellungen überprüfen und den realen Arbeitsalltag kennenlernen.

Schnupperangebote sind in Zeiten des Fachkräftemangels für Betriebe eine gute Möglichkeit, sich dem Nachwuchs attraktiv zu präsentieren

Ab dem 13. Geburtstag können sich Jugendliche bei Betrieben erkundigen, ob sie für einen Schnupperbesuch oder eine Schnupperlehre vorbei kommen dürfen. Ein Schnupperbesuch dauert in der Regel einen Tag. Man sieht zwar nicht alles, was zum Beruf gehört, erhält aber einen ersten Einblick, der sehr viel aufschlussreicher ist als ein Blick in den Berufsbeschreibungs-Katalog. Um herauszufinden, ob ein Beruf oder Ausbildungsbetrieb wirklich das bietet, was einem am Herzen liegt, wird eine etwas längere Schnupperlehre empfohlen, die bis zu fünf Tage dauert. Der Fokus kann dabei auf der Berufswahl liegen (einen Beruf noch besser kennenlernen), es kann aber auch bereits um eine konkrete Lehrstelle gehen (Schnupperlehre als Teil der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz). Doch wie wird ein Schnupperbesuch zum nachhaltigen Erlebnis? Prof. Dr. Dorothee Schaffner von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und Dr. Erich Steiner von der Pädagogischen Hochschule FHNW haben es folgendermassen auf den Punkt gebracht:

Sensorische Erfahrungen

Sogenannte sensorische Erfahrungen entstehen, wenn die Sinne angeregt werden durch Tasten, Riechen, Schmecken, Sehen und Hören. Wie fühlt es sich an, wenn die Erde durch die Finger rieselt? Wie riecht und schmeckt ein bestimmtes Nahrungsmittel? Wie sieht der Arbeitskittel aus? Wie tönt die Maschine? Damit uns eine Tätigkeit in Erinnerung bleibt, sollten möglichst alle unsere Sinne angeregt werden. Sensorische Erfahrungen sind direkt erlebbar, phänomenal, körperlich und nah. Sie ermöglichen es, Wissen durch das individuelle Erleben auf eine ganz persönliche Weise zu gewinnen.

Junge Frau arbeitet nachdenklich
Den Mörtel verstreichen, die Backsteine anfassen, die Mauer entstehen sehen

Emotionale Erfahrungen

Wer Schnuppernde empfängt, möchte in der Regel, dass sie die gemeinsame Zeit mit positiven Gefühlen verbinden: Vorfreude auf die neue Erfahrung oder Stolz auf gute Leistungen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Jugendliche beim Schnuppern wirksam erleben, bedeutungsvolle Arbeiten ausführen und rasch zu Erfolgserfahrungen gelangen. Sie sollten zupacken dürfen und Aufgaben erledigen, denen sie sich gewachsen fühlen. So erfüllt sich ihre Kontrolleinschätzung und ein Gefühl der Erleichterung und Zufriedenheit stellt sich ein. Aber auch negative Emotionen wie Angst oder Ärger können zu bleibenden, positiven Erfahrungen werden, wenn sie anschliessenden mit einer einfühlsamen Person reflektiert und relativiert werden.

Junge Frau vermisst einen Stein
Angst vor der neuen Situation, Freude, wenn es klappt, Ärger, wenn nicht

Soziale Erfahrungen

Die Jugendlichen sollten beim Schnuppern nicht alleine gelassen werden, sondern erfüllende soziale Erfahrungen machen. So kann bereits die Erfahrung «ich bin nicht alleine» zu einer positiven Wahrnehmung der Situation führen. Es ist schön, seine Gefühle und Gedanken mit jemandem teilen zu können. Gleichzeitig führt es bei den Jugendlichen zu einem besseren Verständnis für die Werte und Normen einer Gesellschaft, wenn sie soziale Situationen korrekt interpretieren lernen. Oft werden Denkprozesse nicht automatisch ausgelöst, sondern durch konkrete Fragen des Gegenübers angestossen.

Drei Menschen mit Schutzbrille planen
Vom Gegenüber lernen, seine Erwartungen erfahren

Kognitive Erfahrungen

Und diese Denkprozesse, die unter anderem durch konkrete Fragen des Gegenübers ausgelöst werden, sind absolut wesentlich. Denn wenn Jugendliche erzählen: «ich habe mich gefragt», «da hab ich mir gedacht», «daraus habe ich geschlossen» oder «dann habe ich verstanden», kann davon ausgegangen werden, dass Lernprozesse angeregt worden sind und semantisches Wissen entstanden ist. Um entscheiden zu können, ob ein Beruf den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht, sind Reflexionen nötig, denn erst durch die Verarbeitung des Erlebten, durch das Lernen und Verstehen von Zusammenhängen, lassen sich gewinnbringende Schlüsse ziehen.

zwei junge Frauen arbeiten kognitiv am Schreibtisch
Das Erlebte einordnen und bewerten, Vorurteile relativieren

Der wichtige Aspekt der Reflexion kommt laut Steiner an Schnuppertagen und in Schnupperlehren oft noch zu kurz: «Die Betriebe entlassen die Jugendlichen mit vielen eindrücklichen sensorischen, emotionalen und sozialen Erfahrungen, ohne dass sichergestellt worden ist, dass diese tiefgreifend reflektiert werden». Springen hier weder Lehrpersonen noch Eltern ein, fehle ein grundlegendes Element für die fundierte Entscheidung pro oder contra Beruf. Deshalb appellieren Schaffner und Steiner an die Betriebe, bewährte Schnupperlehr-Reflexionsbögen einzusetzen (siehe z.B. Version des Kantons Graubünden), diese von den Schülern und Schülerinnen ausfüllen zu lassen und im Anschluss an die gemeinsame Zeit zusammen zu besprechen. Es sei auch äusserst wertvoll für die Jugendlichen, ein sorgfältig begründetes Feedback vom Betrieb zu erhalten (z.B. in Form eines kleinen Zeugnisses, wie es die Kantone Luzern , Zug oder Zürich zur Verfügung stellen).

Spannende Schnupperangebote finden sich das ganze Jahr über bei gateway.one. Liegt es gerade nicht drin, den Beruf persönlich zu beschnuppern? Dann können auf Lehrberufe Live! Videos von Lernenden aus diversen Berufen geschaut werden. Vier Mal im Jahr werden diese live gestreamt und die Zuschauerinnen und Zuschauer können den Betrieben in Echtzeit online Fragen stellen.

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