Von der Kunst der Baumpflege – Herausforderungen in Zeiten des Klimawandels
30.08.2023 von Evelyn Hartmann Reportage
Es ist noch früh am Morgen, als ich mich mit Urs Benz zum Interview treffe. In das Gespräch, welches wir ungezwungen unter dem Blätterdach einiger Rosskastanien führen, mischt sich von Zeit zu Zeit das Krähen eines nahen Hahns. Ein paar Ziegen schauen neugierig zu uns hinüber, während der Fuhrpark im Hintergrund erahnen lässt, dass es für die baumpflegerischen Einsätze einiges mehr braucht als Leiter und Stangensäge.
Du bist seit 2006 in der Baumpflege – was an deinem Beruf findest du besonders reizvoll?
Baumpflegespezialist/in BP wird man nicht, weil man gerne an einem Tisch sitzt, sondern weil man eine enge Beziehung zu Bäumen hat. Mich faszinieren diese Lebewesen, die so vieles überdauern und so alt werden können, obwohl sie immer am gleichen Standort stehen. Oft begegnen wir dem Wunsch, alte Bäume zu erhalten. Gleichzeitig steigt jedoch der Anspruch an die Sicherheit in unseren dicht besiedelten Städten. Ich finde es absolut spannend, hier eine Balance zu finden zwischen den menschlichen Bedürfnissen und dem, was vom Baum her möglich ist. Das muss man sich immer bewusst sein: Der Baum braucht den Menschen nicht. Dem ist es egal, wenn ein Ast abbricht. Deswegen kann er trotzdem weiterwachsen. Nur wenn jemand darunter steht, haben wir ein Problem. Die Baumpflege verfolgt eigentlich das Ziel des verkehrssicheren Baumerhalts in städtischem Gebiet. Und ja: Bei schönem Wetter in einer Baumkrone zu klettern – das ist einfach etwas vom Schönsten, was es gibt!
Ursprünglich hast du Landschaftsgärtner gelernt – was hat dich zu den Bäumen geführt?
Ich war schon in der Lehre mehr der pflegende Gärtner als der bauende und Bäume haben mich immer fasziniert. Nach fünf Jahren im Beruf wollte ich mich weiterentwickeln. Da bin ich dann auf die Baumpflege gestossen und habe eine Schnupperlehre absolviert. Wir sind auf eine Pappel gestiegen und es war ein «Saukrampf», da hochzuklettern, so ungeübt wie ich war. Oben war ich völlig kaputt. Zudem wurde mir speiübel, weil ich bei dem starken Wind, der herrschte, seekrank wurde im Baum (lacht). Doch als ich wieder unten war, wusste ich, dass das genau das ist, was ich machen möchte. An das Schaukeln oben im Baum gewöhnt man sich mit der Zeit. Aber schwindelfrei muss man von Natur aus sein, das kann man nicht lernen.
Baumpflegespezialist/in ist ein klassischer Zweitberuf, was sind die Gründe?
Ja, es ist ein Spezialisierungsberuf, der eine abgeschlossene Berufslehre voraussetzt. Bei der Vorstellung, Sechzehnjährige auf dreissig Meter hohen Bäumen zu haben, auch mit all der Kletterausrüstung, die wir da benötigen ... Das können wir vom Verantwortungsgefühl her nicht gutheissen. Die meisten lernen zunächst Gärtner/in EFZ oder Forstwart/in EFZ. Aber wir haben auch Quereinsteiger, die aus völlig anderen Branchen kommen. Der Ausbildungsweg ist aufwendig, dafür haben wir dann auch die Leute, die das wirklich wollen. Es gibt eine Menge Jobs, die weniger anstrengend sind und bei denen man mehr verdient. Es ist schon lustig, wenn du einen Haufen Baumpfleger und Baumpflegerinnen hast, dann verstehen sich die eigentlich immer, weil das Flair für Bäume sehr verbindend wirkt.
Du sagst, es braucht eine gewisse Leidenschaft für diesen Beruf. Was findest du, ist das Wichtigste, um mit Bäumen zu arbeiten?
Am wichtigsten ist der Respekt. Man muss Respekt haben vor dem Baum und darauf achten, dass man seine Arbeit sauber ausführt. Wie gesagt, der Baum braucht den Menschen nicht und auch den Schnitt nicht. Oft haben wir das Glück, mit Bäumen zu arbeiten, die schon seit Jahrzehnten gut gepflegt werden. Das macht natürlich mehr Freude, dort das Totholz herauszusägen, als zu schauen, ob der verstümmelte Ahorn in irgendeinem Hintergarten noch zu retten ist. Eine unsachgemässe Behandlung kann wirklich üble Folgen haben. Der Respekt ist auch wichtig, wenn es um die Arbeitssicherheit geht – das ist ein grosses Thema. Bei der Arbeit in den Bäumen gibt es keinen Spielraum für Nachlässigkeiten. Und es ist natürlich auch wichtig, sich laufend weiterzubilden, um auf dem aktuellsten Stand der Erkenntnisse zu sein. Kurz gesagt, muss man sich jederzeit in einem Bereich bewegen, in welchem man sagen kann: Ich bin sicher bei der Arbeit und es ist ein Arbeiten, das für den Baum zumindest nicht schädlich ist.
Hat sich dein Berufsalltag stark verändert?
In gewisser Weise, ja. Der Stellenwert der Baumpflege hat massiv zugenommen. Es gibt viel Arbeit und verhältnismässig wenige, die diese Arbeit tun. Vor allem aber hat sich der ganze Sicherheitsaspekt stark verändert. Früher hiess es: «Hast du gehört, Heiri Müller ist ein Ast auf den Kopf gefallen?» Heute heisst es: «Wer hat den Baum zuletzt kontrolliert? Wann wurde er kontrolliert? Welche Massnahmen wurden vorgeschlagen?» Das geht auch auf den gesellschaftlichen Wandel zurück. Entsprechend nehmen auch die Stabilitätsmessungen von Bäumen zu. Diese sind auf Orkanbelastungen ausgelegt, aber natürlich kann man nicht alles auf 120 km/h Windstärke anpassen. Sonst kann man nur noch ein paar Stammstümpfe ohne Krone stehen lassen, die dann wirklich sturmsicher wären. Meistens schlafen wir aber trotz der Verantwortung, die wir tragen, auch wenn’s stürmt ganz gut.
Wie erlebt ihr die Auswirkungen des Klimawandels?
Der Klimawandel ist ein riesiges Thema. Gerade die Hitze- und Trockensommer stellen uns vor grosse Herausforderungen, aber auch die zunehmenden Wetterextreme. Dabei ist vor allem der Altbaumbestand betroffen. Die 100-jährigen Bäume können sich oft nicht anpassen. Teilweise empfehlen wir Kunden bereits, ihre alten Bäume zu wässern – aber da wird man ja nicht mehr fertig. Es geht natürlich auch darum, Baumarten zu finden, die in die Zukunft tragen und mit den klimatischen Veränderungen mitgehen können. Aktuell beschäftigen uns sogenannte «Spontanbrüche», ein noch kaum erforschtes Phänomen. Oft bleibt nichts anderes, als die grossen Bäume abzusperren, um die Sicherheit zu gewährleisten. Und natürlich ist der Erhalt von Bäumen in städtischem Raum enorm wichtig, weil sie eine kühlende Wirkung haben. Allmählich zieht der «Baumschutz» in die Städte ein. Man versucht, einen Teil der Bäume zu erhalten, wenn gebaut wird. Aber das wird regional noch immer recht unterschiedlich gehandhabt.
Was wünschst du dir als Baumpfleger?
Mehr Wertschätzung von der Bevölkerung für unsere Arbeit. Grundsätzlich finden alle die Baumpflege toll. Handkehrum fehlt häufig das Bewusstsein, dass gute Arbeit auch einen Preis hat. Viele sehen nicht, was da an Wissen, Erfahrung und Beurteilung dahintersteht, denn der Baum wächst ja von allein und Bäume schneiden können auch alle – so fühlt es sich zumindest an (lacht). Dabei gibt es da schon einiges zu beachten. Bei Lichtraumschnitten von Jungbäumen muss man mindestens zwanzig Jahre vorausdenken und sich fragen, wo dieser Ast dann sein wird. Vielleicht kann man ihn jetzt noch so schneiden, dass es für den Baum verträglich ist. In ein bis zwei Jahrzehnten wird das je nachdem nicht mehr möglich sein. Diese Voraussicht, die braucht es einfach. Da sind wir dann wieder beim Respekt. Das ist so ein bisschen der Wunsch auch bezüglich der Wertschätzung und des Vertrauens – du hast deinen Baumpfleger, der deine Bäume kennt und weiss, was du willst ...
Die Freude hast du aber nicht verloren?
Nein, sonst könnte ich nicht in diesem Beruf arbeiten. Es ist wirklich eine Berufung!
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute!
Ausbildung
Voraussetzung für die Prüfung zum eidgenössischen Fachausweis als Baumpflegespezialist/in sind eine abgeschlossene Berufslehre und je nach Vorbildung zwei oder vier Jahre reine Praxis in der Baumpflege. Der berufsbegleitende Lehrgang dauert rund sieben Wochen und wird empfohlen, da hier das gesamte theoretische Wissen vermittelt wird. Zudem wird der Ausweis des forstlichen Motorsägelehrgangs, der Nothelferausweis und ein Zertifikat in Seilklettertechnik für Baumpflege verlangt.