Weihnachtsbäckerei zwischen Tradition und Integration

19.12.2023 von Evelyn Hartmann Reportage

Züri-Tirggel als Dekoration am Weihnachtsbaum

In der Stiftung St. Jakob, einem wirtschaftlich ausgerichteten Sozialunternehmen in Zürich, greifen viele Hände ineinander: Rund 600 Mitarbeitende sind «mit Herz und Leidenschaft» in den hauseigenen Gewerbebetrieben und in der Gastronomie tätig, darunter etwa 40 Auszubildende. Jetzt, zur Weihnachtszeit, herrscht Hochbetrieb in der Bäckerei, Konditorei und Confiserie. Denn neben einzigartigen Schokoladen-Weihnachtsmännern, bezaubernden Lebkuchenhäusern und sorgfältig zusammengestellten «Chlaussäckli» wird hier in liebevoller Handarbeit auch der Original-Züri-Tirggel hergestellt, der auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt, schon manchen Gaumen erfreut und schon manchen Christbaum geschmückt hat.

Köstliche Meisterwerke und soziale Integration

Das St. Jakob Beck & Kafi in der Markthalle am Viadukt ist nur eine von sechs Filialen in der Stadt Zürich, wo Mitarbeitende im geschützten Rahmen die Gäste unter Anleitung von Fachmitarbeitenden mit hausgemachten Gipfeli, Sandwiches, Birchermüesli, Kuchen, Wähen und natürlich dem Original-Züri-Tirggel kulinarisch verwöhnen. Im Hintergrund bereiten die Bäcker-Konditoren-Confiseure und Bäckerinnen-Konditorinnen-Confiseurinnen EFZ all die Köstlichkeiten mit Leidenschaft und viel Liebe zum Detail zu. Selbstverständlich werden dabei nur Zutaten von höchster Qualität aus nachhaltigen Produktionen verwendet. Schliesslich sind Wertschätzung und Respekt hier hoch gehaltene Werte – nicht nur im direkten Umgang mit einander sondern auch in Bezug auf das Essen. Die Stiftung St. Jakob bietet Chancen für alle und kümmert sich mit grossem Engagement um marktgerechte Arbeit und Ausbildungsplätze in einem sozialen, wohlwollenden Umfeld. Im Zentrum steht die Integration von Menschen mit einer Beeinträchtigung in das Arbeitsleben und die Gesellschaft.

Der Züri-Tirggel: Eine Geschichte voller Tradition

«Der Tirggel passt perfekt zu unserer Idee, handwerkliches Können weiterzuvermitteln und dabei auch Menschen mit Beeinträchtigungen ein Umfeld zu ermöglichen, in dem sie nicht nur einer sehr sinnlichen, sondern auch einer ökonomisch durch und durch sinnvollen Arbeit nachgehen», bringt es Alexander Howden, Geschäftsleiter der Stiftung St. Jakob, auf den Punkt. Die Geschichte des Tirggel ist in verschiedener Hinsicht spannend. Da wäre einmal das uralte Handwerk, das sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im Weiteren haben die Bildmotive selbst, die auf dem Tirggel zu sehen sind, so einiges zu erzählen. Doch auch wie das Kulturerbe überdauert und schliesslich in die Stiftung St. Jakob gefunden hat, wo es weiter gelebt und gepflegt wird, ist interessant. Tirggelmeister Urs Jäckle und Ernährungsforscher Dominik Flammer sind dem ältesten noch existierenden Bildgebäck der Schweiz in ihrem neu erschienen Buch «Züri-Tirggel und andere Feiertagsgebäcke» nachgegangen. Zugegeben, der Tirggel erschliesst sich einem vielleicht nicht gerade auf Anhieb – rasch zerbissen und gekaut schmeckt er erst einmal nach wenig. Man müsse ihn wie eine Schwiegermutter behandeln, ihn «trööle» und «trööle» bis er weich werde, zitiert Flammer bei der Buchvernissage einen aus Zürich stammenden Freund. Und tatsächlich entfaltet das Honiggebäck einen ganz köstlichen Geschmack, wenn man es langsam und genüsslich auf der Zunge zergehen lässt.

Der mit Tirggeln geschmückte Weihnachtsbaum in der Markthalle am Viadukt

Altes Handwerk – Neue Kreation

Das Tirggel-Rezept wird streng gehütet, aber die Zutaten darf man verraten. Am Ende kommt es auf die Feinheiten an, aufs «Gspüri», denn die Herstellung des Tirggel ist eine Kunst für sich. Weizenmehl, Honig, Zucker und Wasser – mehr ist es nicht. Doch in Zeiten, in denen Zucker nur in kleinen Mengen zur Verfügung stand, handelte es sich um ein absolutes Luxusgebäck, das es für die meisten nur zu besonderen Feiertagen, wie Weihnachten, gab. Auch die Arbeit der Müller und Müllerinnen EFZ und der Imker und Imkerinnen BP fliesst somit in den hauchdünnen Teig mit ein, wobei der zertifizierte Wildhonig aus Kostengründen und wegen der Aromavielfalt aus Amerika stammt, denn jährlich werden für die Tirggel nicht weniger als 2'000 Kilogramm davon benötigt. Bei der Pflege alter Traditionen geht es bekanntlich nicht um die Anbetung der Asche sondern um die Weitergabe des Feuers. Ganz in diesem Sinne bleibt die Stiftung St. Jakob nicht einfach bei den gängigen Vorlagen der beliebten Stadtansichten und Biedermeier-Sujets stehen, sondern bietet zudem Tirggel mit Wunsch-Motiven oder dem eigenen Firmen-Logo an. Während früher die Bäcker und Bäckerinnen höchst persönlich ans Messer mussten, wird heute für die Anfertigung dieser speziellen Modelle ein Holzbildhauer oder eine Holzbildhauerin EFZ beauftragt, die genau wissen, worauf es beim Schnitzen ankommt, damit der Druck auf dem fertigen Gebäck dann auch wirkungsvoll «erblüht», wie es in der Fachsprache heisst. Der mit Tirggeln geschmückte Weihnachtsbaum in der Markthalle am Viadukt gibt einen sehr schönen Eindruck von den Möglichkeiten solch schmückender Bilder: Ein Muss für die Liebhaber und Liebhaberinnen alter Handwerkskunst und für alle Naschkatzen ein kleines Paradies.

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